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Dezember 2006

27.12.2006 Heinersdorfer Moschee soll Khadidja-Moschee heißen
27.12.2006 Der Bezirk hat es genehmigt...
07.12.2006 Ins Schwimmen geraten Empfehlungen

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Berliner Zeitung, 27.12.2006
Heinersdorfer Moschee soll Khadidja-Moschee heißen
Gemeinde will im Februar mit den Bauarbeiten beginnen
Stefan Strauss
PANKOW. Die Ahmadiyya Muslim Gemeinde darf an der Tiniusstraße im Pankower Ortsteil Heinersdorf eine Moschee bauen. Nach fünfmonatiger Bearbeitungszeit hat der Bezirk die Baugenehmigung erteilt. "Im Februar werden wir mit den Bauarbeiten beginnen", sagte Abdullah Uwe Wagishauser, Vorsitzender der Ahmadiyya Muslim Gemeinde in Deutschland. Bis Ende 2007 könnte der Bau fertig sein.
Die Moschee besteht aus zwei Etagen mit Gebetsräumen, einem zwölf Meter hohen Minarett und einer Wohnung, in der der Imam mit seiner Familie leben wird. Auf dem Gelände werden Parkplätze für die Besucher errichtet. Die Moschee wird nach der ersten Ehefrau des Propheten Mohammed benannt und den Namen "Khadidja-Moschee" tragen. Die Frauenorganisation der Ahmadiyya-Gemeinde hat in den vergangenen Jahren Geld für die Moschee gesammelt. Der Bau wird etwa eine Million Euro kosten. "Den Großteil dieser Summe haben wir bereits zusammen", sagte der Iman der Gemeinde, Abdul Baist Tariq.
Gegen das Bauvorhaben gibt es seit Bekanntwerden der Pläne heftige Proteste von Anwohnern, denen sich neben der CDU auch NPD und Republikaner angeschlossen hatten. Eine Bürgerinitiative versuchte mit Demonstrationen und zwei gescheiterten Bürgerbegehren die Muslim-Gemeinde davon zu überzeugen, ihre Moschee nicht in Heinersdorf, sondern in Reinickendorf zu bauen. Dort unterhält die Gemeinde einen kleinen Gebetsraum.
Jetzt bereiten sich die Moscheegegner auf eine "baurechtlich-juristische Auseinandersetzung" vor, wie es in einem Aufruf heißt. Heute Abend wollen sie mit einer Lichterkette vor dem künftigen Standort der Moschee protestieren. Die Ahmadiyya Muslim Gemeinde hat sich auf Störungen während der Bauphase vorbereitet. "Die Polizei ist über unser Bauvorhaben informiert. Sollte unsere Sicherheit gefährdet sein, müssen wir unter Polizeischutz bauen", sagte der Imam.

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Berliner Morgenpost, 27.12.2006
Der Bezirk hat es genehmigt: Die Ahmadiyya-Gemeinschaft darf ihr Gotteshaus in Heinersdorf errichten
Moschee wird gebaut - Aufregung in Pankow
Von Jens Anker
Berlins Muslime drängen aus den Hinterhöfen. Sie wollen aus den provisorischen Gebetsräumen heraus. Neben den bestehenden Moscheen am Columbiadamm in Neukölln und an der Brienzer Straße in Wilmersdorf haben vier Gemeinden Baupläne. Zwei sind dabei, die Moscheen an der Wiener Straße und der Falckensteinstraße in Kreuzberg zu errichten. Der größte Streit um den geplanten Bau eines muslimischen Gotteshauses herrscht jedoch im Pankower Ortsteil Heinersdorf. Hier hat die Gemeinschaft der Ahmadiyyaner 4700 Quadratmeter Brachland erworben, um eine zweistöckige Moschee mit einem 12 Meter hohen Minarett zu errichten. Am vergangenen Freitag hat sie dafür die Baugenehmigung vom Bezirksamt Pankow erhalten.
Der Schornstein überragt alles. 40 Meter reckt er sich in den Himmel. Manche in Heinersdorf machen kleine Witze darüber. Vielleicht werde der Schornstein zum Minarett umgebaut, vermuten sie. Galgenhumor. Denn die Heinersdorfer fürchten nichts mehr als das. Seitdem die Muslimbruderschaft der Ahmadiyya das Grundstück mit dem einsamen Schornstein des ehemaligen Heizkraftwerkes an der Ecke Prenzlauer Promenade/Tiniusstraße gekauft hat, herrscht Aufruhr in Heinersdorf. Die Muslime dürfen dort eine Moschee bauen, doch viele Heinersdorfer sind dagegen. Inzwischen ist der Streit längst über das umstrittene Projekt hinausgewachsen und zum Brennglas für heikle Fragen geworden: Sind die Heinersdorfer Nazis? Importieren die Ahmadiyyaner radikalen Islamismus nach Pankow? Herrscht Religionsfreiheit oder wird dieses Grundrecht missbraucht?
Fragen, mit denen sich Abdul Basit Tariq seit Monaten beschäftigt. Er ist der Imam der 200 Ahmadiyyaner in Berlin. "Unsere geplante Moschee in Heinersdorf ist nur der Funke, an dem sich die Debatte entzündet hat", sagt Tariq und legt seine Sicht der Dinge dar. "Die Heinersdorfer sind gute Leute, sie haben aber Angst vor uns." Das müsse allerdings nicht sein, sagt Tariq, der trotz des heftigen Widerstandes nie die Ruhe verliert und freundlich zurückhaltend die Fragen bleibt. Die einzige Lösung bestehe darin, einander zu tolerieren, sich kennen zu lernen und die Probleme offen anzusprechen. Denn eines wollen die Ahmadiyyaner auf keinen Fall, versichert er: sich isolieren. "Die Weisheit ist eine verlorene Sache für die gläubigen Muslime, sie sollen sie finden und annehmen, wo sie ihr begegnen", zitiert der Imam den Propheten Ahmad. Jeden Freitag predige er in Deutsch. Jeder sei dabei willkommen. Die Ahmadiyyaner sind friedliche Muslime, bestätigt Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Beim Verfassungsschutz liegen keine Erkenntnisse über mögliche Gefahren vor, die von ihnen ausgehen könnten. In ihrem Gründungsland. Pakistan werden die Ahmadiyyaner verfolgt, weil sie mit ihrem Namensgeber Ahmad an einen eigenen Propheten glauben. Die Integration in ihre neue Heimat sei Bestandteil des Glaubens. "Wenn wir in Heinersdorf sind, bin ich voller Hoffnung, dass die Heinersdorfer kommen und sich informieren", hofft Tariq auf ein friedliches Miteinander.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Joachim Swietlik wohnt gegenüber der geplanten Moschee und ist Vorsitzender der Interessengemeinschaft Pankower und Heinersdorfer Bürger (Ipahb), die sich vehement gegen die Moschee wendet. "Wer soll denn hier integriert werden", fragt er und gibt die Antwort gleich selbst. "Von den 6500 Heinersdorfern ist keiner Muslim." Swietlik und die anderen Vereinsmitglieder wundern sich daher, warum die Muslime ausgerechnet in Heinersdorf eine Moschee bauen wollen. Swietlik sitzt im Büro des Vereins, direkt neben dem Bauplatz im Vereinsbüro. Der Gebäudekomplex gehörte zu einer Sauerkrautfabrik aus DDR-Zeiten, die vom benachbarten Heizkraftwerk beliefert wurde. Auch der Vereinsvorsitzende hat trotz der Querelen nie seine ausgleichende Art verloren. Etwa sechsmal ist es bereits zu Streitgesprächen mit Tariq gekommen. Beide respektieren sich, auf einen gemeinsamen Nenner werden sie in diesem Leben nicht mehr kommen.
Swietlik sieht sich in einer schlechten Position. Der Verein werde von allen Seiten angegriffen. Sie würden als Nazis diffamiert, dabei habe er sich erst zur Mitarbeit im Verein entschieden, als er sicher war, dass keine ausländerfeindlichen Motive dahintersteckten. Dennoch sind die Rechtsradikalen ein Problem. Sie wollen die Anti-Moschee-Stimmung nutzen, organisieren eigene Veranstaltungen und mischen sich unter die Demonstranten. Von den Politikern - ausgenommen der Pankower CDU - fühlt sich der Verein ebenfalls allein gelassen. Alle anderen Fraktionen befürworten den Moscheebau. Neuerdings hat sich ein Gegenverein mit dem Namen "Heinersdorf öffne dich" gegründet, der den Bau ebenfalls unterstützt. Und die linke Antifa stelle die Vereinsmitglieder öffentlich bloß. "Wir sitzen zwischen allen Stühlen", sagt Swietlik. Dabei sei der Verein nicht grundsätzlich gegen den Bau von Moscheen. Die Aufregung sei bei anderen Projekten nicht so groß, weil in Neukölln und Kreuzberg Muslime stark vertreten seien und die Gotteshäuser "da logisch hingehören" - in Heinersdorf dagegen eben nicht. Zudem misstrauen die Heinersdorfer den Muslimen. Einerseits poche Tariq auf die Religionsfreiheit, andererseits fordere er für die gläubigen Mädchen Ausnahmen, zum Beispiel die Befreiung vom Schwimmunterricht in der Schule. Auf einer Veranstaltung hätte der Imam die Möglichkeit des Verzichts auf den Neubaus signalisiert, bei einem anderen Termin dagegen auf den Standort Heinersdorf bestanden. So wächst das Misstrauen.

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DIE ZEIT, 07.12.2006
Ins Schwimmen geraten Empfehlungen
Von Martin Spiewak
Politiker klagen, dass viele muslimische Schülerinnen den Turn-, Schwimm- und Sexualkundeunterricht boykottieren. Stimmt das überhaupt?
Boykottieren muslimische Schüler die deutsche Schule? Entziehen sie sich auf Druck ihrer Eltern bestimmten Fächern und bleiben Klassenreisen fern? Glaubt man Politikern und Integrationsexperten, ist die Antwort eindeutig. Es sei nicht hinnehmbar, kritisiert die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), dass islamische Familien ihre Kinder vom Turnunterricht abmelden. Stehe in Biologie Sexualkunde auf dem Lehrplan, würden Kinder für krank erklärt. In Schulen mit hohem Anteil ausländischer Schüler, weiß Böhmer, würden keine Klassenfahrten mehr unternommen, weil muslimische Schülerinnen regelmäßig nicht mitfahren dürften.
Ihr Parteikollege Bundestagspräsident Norbert Lammert spricht von »vorgetäuschten Gründen«, mit denen »vielen muslimischen Mädchen« die Teilnahme am Sportunterricht verweigert werde. Und auch die Türkische Gemeinde Deutschlands findet es nicht akzeptabel, »dass Schülerinnen eine faktische Befreiung vom Schwimm-, Sport-, Biologie- und Sexualkundeunterricht ermöglicht wird«.
Hier geht es um weit mehr als nur den Unterricht in Fächern, die wenig im Mittelpunkt des pädagogischen Interesses liegen. Bedroht scheint das Recht auf Bildung für alle Kinder, das für das Selbstverständnis der deutschen Schule zentral ist. Deshalb wundert es nicht, wenn Innenminister Wolfgang Schäuble den islamischen Unterrichtsboykott zum Gegenstand der laufenden Islamkonferenz macht. Schon bei der ersten Sitzung im September war genau über dieses Thema Streit ausgebrochen: Kapituliert die deutsche Schule vor den religiösen Sonderwünschen muslimischer Eltern?
Wer sich die Mühe macht, dieser Frage einmal genau nachzugehen, erlebt Überraschungen. Eine Recherche in sechs Stationen.
Unwissende Behörden
Die Antwort kann kein Berliner Ministerium geben. Denn Bildung ist Ländersache. Beim gegebenen Thema böte sich als Beispiel Bremen an, das Land mit den meisten Migrantenschülern in Deutschland. Hier dürfte die Absenz muslimischer Schüler bei Sport, Aufklärungsunterricht und Klassenfahrten am größten sein.
Doch überraschenderweise weiß die Behörde von nichts. »Es gibt hin und wieder Vorkommnisse, aber die sind sehr selten«, sagt Rainer Gausepohl nach Rücksprache mit den Fachleuten im Haus. Lediglich zwei Bitten um Freistellung vom Schwimmunterricht habe die zuständige Abteilung im vergangenen halben Jahr behandelt. Die Antworten der anderen Bundesländer – Baden-Württemberg (»Kein übergeordnetes Problem«), Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern (»Einzelfälle«), Schleswig-Holstein (»Nicht zu quantifizieren«), Hamburg (»Die größten Schwierigkeiten hatten wir mit christlichen Fundamentalisten«) – ähneln sich bis in den Wortlaut.
Natürlich dringe nicht jede Auseinandersetzung bis zur Behörde vor, heißt es oft. Viele Angelegenheiten regelten die Schulen in Eigenregie. »Aber wenn es sich um ein größeres Problem handeln würde, bekämen wir es ganz sicher mit«, sagt Brigitte Ohlms, in der nordrhein-westfälischen Schulverwaltung zuständig für Migranten. »Wir haben permanent Kontakt zu unseren Schulen.«
Das Ergebnis der Umfrage erstaunt. Ist das Problem kleiner als gedacht? Oder verschweigen die Schulen schamhaft ihr Katzbuckeln vor dem Islam? Jedenfalls hat keine einzige Bildungsverwaltung konkrete Zahlen zu dem integrationspolitisch brisanten Thema gesammelt. Mit einer Ausnahme: Berlin.
Berliner Verhältnisse
Der Senator in der Hauptstadt hieß bis vor kurzem Klaus Böger. Er führte das wohl schwierigste Bildungsressort der Republik. Schulen wie Rütli, Migrantenquoten von 100 Prozent, Dutzende von muslimischen Religionslehrern, die unter Islamismusverdacht stehen: Da heißt es Bescheid wissen und Härte zeigen. Bereits 2005 hat Böger eine Umfrage gestartet, um herauszufinden wie viele Kinder im laufenden Schuljahr dem Schwimmunterricht ferngeblieben waren. Antwort: 68, fünf davon aus religiösen Gründen. Der Senator traute den Angaben der Schulen nicht und ordnete an, dass in Zukunft nicht mehr die Schulleiter, sondern nur noch die Behörden Dispens von Schwimmkursen erteilen dürfen.
Viel Arbeit bekamen Bögers Beamte nicht, wie eine erneute Umfrage Anfang dieses Jahres belegt. In drei Monaten lagen ganze vier Anträge auf Befreiung vor, zwei wurden abgelehnt, zwei bewilligt. Auch damit gab sich Böger nicht zufrieden. Warum lernt in Migrantenstadtteilen wie Kreuzberg mehr als ein Viertel aller Kinder in der Schule nicht schwimmen, während im bürgerlichen Zehlendorf nur fünf Prozent Nichtschwimmer bleiben? Für den damaligen Senator ein klarer Hinweis auf die Schulverweigerung religiöser Migranten.
Liest man seine Zahlen genauer, bietet sich jedoch eine ganz andere Erklärung an: In Kreuzberg bringt nur jedes vierte Kind schon aus dem Elternhaus Schwimmerfahrungen mit, im Gesamtberliner Durchschnitt dagegen jedes zweite. Soziale Herkunft zählt also nicht nur beim Lesenlernen, sondern auch im Wasser. Gegen die Verweigerungsthese spricht außerdem, dass die Nichtschwimmerquote in Migrantenvierteln bei Jungen genauso hoch ist wie bei Mädchen.
Für die Richtigkeit vom Unterrichtsboykott als islamistische Massenbewegung liefert Berlin also bisher keine Hinweise. Doch die Hauptstadt ist nicht typisch. Obligates Schwimmen findet in Berlin in der Regel nur in der Grundschule statt, die hier von Klasse eins bis sechs dauert. Da fängt das Alter erst an, in dem fromme Musliminnen Körper und Kopf vor Männeraugen schützen und Sexualkunde heikel wird.
Instabile Faktenlage
Die Experten müssen ihre These also mit anderen Quellen stützen. Nur mit welchen? Das Büro der Integrationsbeauftragten verweist auf eine Studie, herausgegeben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Das ist jene Behörde, welche die Islamkonferenz organisiert. Endlich Fakten, möchte man meinen und freut sich über die Autorin: Necla Kelek, die sich dadurch verdient gemacht hat, dass sie hinschaut, wo andere weggucken.
Repräsentative Daten finden sich in der Expertise jedoch nicht. Kelek machte Beobachtungen, sie sprach mit Lehrern, Schülern, Pädagogen, besuchte Schulen, für die Untersuchung sind es fünf. Probleme mit Sexualkunde kann keine von ihnen vermelden, zwei allenfalls geringfügige Schwierigkeiten mit Schwimmen oder Klassenfahrten (die Haupt- und Realschule Bunatwiete in Hamburg-Harburg und die Erika-Mann-Schule in Berlin-Mitte). Auch der Schulleiter der Moses-Mendelssohn-Schule in Berlin berichtet von einem reibungslosen Sportunterricht. Doch eine Schulsekretärin widerspricht: Früher habe es noch Anträge zur Unterrichtsbefreiung gegeben, »aber seit so viele Schülerinnen Kopftuch tragen, fragen wir gar nicht mehr. Es wird einfach akzeptiert, dass die nicht schwimmen gehen.« Und die Schulleiterin der Rudolph-Ross-Schule in Hamburg wird mit den Worten zitiert: »Klassenfahrten bekommen wir nicht mehr durch. Wenn es so weit ist, versucht etwa ein Viertel der Elternschaft, mit allen Mitteln eine Teilnahme ihrer Kinder zu verhindern.«
Bedrückende Aussagen. Keleks Fazit von »erheblichen Verweigerungsquoten« in deutschen Schulen stützen die Beispiele jedoch nicht. In ihrer Untersuchung schreibt die Autorin ja gerade, dass Fakten weitgehend fehlen und weitere Untersuchungen notwendig sind. In Interviews spricht sie jedoch davon, dass es in Deutschland mittlerweile akzeptiert werde, dass »Sechsjährige nicht mehr am Turn- oder Schwimmunterricht teilnehmen«.
Ein Boykott löst sich auf
Besuch der Berliner Moses-Mendelssohn-Schule in Berlin-Moabit, in der sich Necla Kelek für ihre Studie umgesehen hat. Ja, sagt Schulleiter Hartmut Blees, die Zahl der Kopftücher habe zugenommen, Mädchen ohne Bedeckung müssten sich mitunter sogar rechtfertigen. »Wir merken den wachsenden Einfluss der Religion«, erzählt Blees. Schwierigkeiten beim Sport jedoch gebe es kaum, das habe er Kelek auch gesagt. Die Kopftuchmädchen turnten mit, und vom Schwimmen brauche sich aus einem einfachen Grund niemand abzumelden: Das Fach sei seit vielen Jahren ein Wahlkurs. Hat die Schule das Problem Schulverweigerung dadurch gelöst, dass Schwimmunterricht nicht mehr als Pflichtveranstaltung angeboten würde? Auch dies sei nicht der Fall, sagt Blees. Als der Schulleiter erfährt, dass Kelek sich mit der Aussage, an seiner Schule gebe es einen Schwimmboykott, auf eine »Schulsekretärin« beruft, ist er irritiert: Zur Zeit des Besuches von Kelek habe im Sekretariat eine Vertretung gesessen. Die könne zum Thema ganz sicher keine Auskunft geben.
Auch die Recherche an der Hamburger Rudolph-Ross-Schule bringt Widersprüchliches zutage. Machen renitente islamische Eltern an seiner Schule das Reisen schwer? Stufenleiter Michael Irle, zuständig für die Klassen sieben bis zehn, weiß davon nichts. Im vergangenen Jahr habe es ein paar Mädchen gegeben, die nicht hätten mitfahren wollen. Vielleicht berufe sich Kelek darauf. Aber das sei eine Ausnahme gewesen, sagt Irle: »Im Gegenteil, wir haben bei uns im Viertel das Gefühl, dass die Mädchen verwestlichen.« Um sich zu versichern, geht Irle durch die Klassen und zählt die Kopftücher. Er kommt auf 9 bedeckte Köpfe bei 171 Schülerinnen. Eine Schule, in der strenggläubige Jugendliche den Lehrern das Leben schwer machen, sieht anders aus.
Frauenschwimmen für Musliminnen
Ist der islamische Schulboykott also ein Phantom, unkritisch in die Welt getragen von Journalisten und Politikern? Das kann nicht sein. Erneut stürzt man sich in Anfragen, sucht in Bremen, Hamburg, Berlin und Nordrhein-Westfalen nach Schulen mit einem hohen Migrantenanteil. Nach 15 weiteren Gesprächen mit Rektoren und Stufenleitern ergibt sich folgendes Bild: Probleme mit dem Sexualkundeunterricht existieren demnach nicht, im Sport sind sie marginal. »Wegen der Verletzungsgefahr müssen Mädchen mit Kopftuch die Nadeln, die den Stoff zusammenhalten, durch ein Gummi ersetzen. Dann können sie regulär mitturnen«, sagt stellvertretend für viele Schulleiter Klaus Wendland von der Hamburger Haupt- und Realschule Königstraße.
Mehr Arbeit macht den Lehrern mitunter das Schwimmen, insbesondere dort, wo der Sport mit der Pubertät kollidiert. Mal ist es ein Mädchen pro Klasse, mal sind es fünf, die nicht unter männlichen Blicken ins Wasser steigen wollen. Einige Migrantenschulen begegnen dieser Schwierigkeit so, wie es die Rechtsprechung ermöglicht (siehe Kasten): Sie unterrichten getrenntgeschlechtlich, wie die Gesamtschule Kirchdorf in Hamburg-Wilhelmsburg. Wo sich dies nicht einrichten lässt, schicken Lehrer muslimische Schülerinnen zum Frauenschwimmen, das mittlerweile viele Badeanstalten in Ausländervierteln anbieten. Die Schülerinnen müssten dann eine Bescheinigung aus dem Schwimmbad mitbringen, sagt Werner Sprack, Rektor an der Hauptschule Jürgens Hof in Herne, »wer dies nicht macht, bekommt eine Sechs«. Im vergangenen Jahr hätten 14 Mädchen den Kurs belegt. »Das hat hundertprozentig geklappt«, sagt Sprack.
Spezifisch islamisch ist der getrennte Sportunterricht von Jungen und Mädchen in diesem Alter keineswegs. Beim Schwimmen und Turnen werden auch in Schulen ohne Migranten die Mädchen und Jungen nach der Grundschule häufig in zwei Gruppen getrennt. Gleiches gilt punktuell für den Sexualkundeunterricht. In Bayern und Baden-Württemberg findet der Sportunterricht sogar von Klasse fünf beziehungsweise sieben an grundsätzlich getrennt statt. »Wir wollen vor allem den pubertierenden Mädchen ersparen, sich zweideutigen Anspielungen oder geschlechtsbezogenen Hänseleien auszusetzen«, heißt es aus dem baden-württembergischen Kultusministerium.
Angst vor der Klassenfahrt
Auch das Problem der Klassenfahrten ist nicht unlösbar. Tatsächlich berichten manche der befragten Brennpunktschulen davon, dass sich ein (wenn auch kleiner) Teil der Migranteneltern weigert, ihre Kinder auf Reisen zu schicken. Mitunter fehlt es am Geld, und nicht überall steht ein Sozialfonds für die Bedürftigen bereit. Häufiger jedoch wollen die Eltern ihre Töchter vor den – in der Regel eingebildeten – Verführungen bewahren, die den Kindern auf solchen Fahrten drohten. Betrunkene Schüler und nächtliche Besuche in den Schlafzimmern gehören zu den Schreckensvorstellungen streng muslimischer Eltern.
»Gerade die Mädchen wachsen in traditionellen Elternhäusern sehr behütet auf. Passiert etwas, sehen diese die Ehre der ganzen Familie bedroht«, sagt Sibel Besir, Islamkundelehrerin am Bremer Schulzentrum Koblenzer Straße. Allein nach religiösen Linien verlaufe der Konflikt jedoch keineswegs, berichtet Besir. So gebe es Mädchen aus säkularen Elternhäusern, die zu Hause bleiben müssten, während Kopftuchträgerinnen ohne Diskussion mitfahren dürften.
Wie oft in solchen Fällen bestellt der Schulleiter auch im Bremer Schulzentrum die Eltern ein und versucht sie mit allerlei Versicherungen – strenges Alkoholverbot, getrennte Schlafräume, vegetarische Angebote auf der Speisekarte – dafür zu gewinnen, ihnen ihre Kinder anzuvertrauen. Andere Schulen lassen muslimische Mütter und Studenten mitfahren oder bitten islamische Imame sowie Sozialarbeiter, die Eltern von der Bedeutung einer Reise für die Klassengemeinschaft zu überzeugen. Die Überzeugungsarbeit ist nicht immer erfolgreich. »Doch je besser die Kontakte der Schulen zu Migrantenvereinen, Moscheen oder Stadtteilmüttern sind, desto einfacher fällt es, die Eltern zu überzeugen«, sagt Dorothea Bender-Szymanski vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung, die Frankfurter Schulleiter zum Thema »Integration« befragt hat.
Die wahren Probleme
Die These vom breiten Unterrichtsboykott muslimischer Eltern scheint nicht haltbar. Dringend notwendig sind aber, wie Necla Kelek fordert, empirische Untersuchungen. Nach bisherigen Erkenntnissen gibt es an vereinzelten Schulen mit sehr vielen Migrantenschülern Versuche, sich dem koedukativen Schwimmunterricht zu entziehen. Die meisten Lehrer und Rektoren lösen dieses Problem jedoch mit Prinzipienfestigkeit (in Grundschulen), oder sie lassen sich eine alternative Lösung einfallen. Von einer Kapitulation vor dem wachsenden Islamismus kann keine Rede sein.
Dies bedeutet allerdings nicht, dass die rund 700.000 muslimischen Kinder in Deutschland in der Schule gut zurechtkämen. Im Gegenteil: Ihr Bildungsabsturz ist dramatisch, aber nicht wegen ihres religiösen Hintergrundes, sondern weil sie aus armen Familien stammen, in denen kein deutsches Buch steht, ständig türkisches Fernsehen läuft und sich niemand nach den Hausaufgaben erkundigt. Alle befragten Schulen berichten von abnehmenden Deutschkenntnissen, miserablen Zeugnissen und Chancenlosigkeit der Jugendlichen, eine Lehrstelle zu finden. Angesichts dieses Schulversagens, sagt der Rektor der Dortmunder Hauptschule Lützowstraße, sei die punktuelle Abmeldung vom Schwimmunterricht »zweitrangig – nein viertrangig!«.
Der Vorwurf der bewussten Integrationsverweigerung von (muslimischen) Migranten ist mittlerweile eine feste Argumentationsfigur in der deutschen Öffentlichkeit und Politik. In vielen Fällen stützt sie sich indes auf Vermutungen oder Einzelbeobachtungen. So fordern Politiker wie Edmund Stoiber immer wieder, Migranteneltern, die ihre Kinder vor der Einschulung nicht zu Deutschkursen schickten, müssten bestraft werden. Indes, es gibt diese Eltern kaum. Hessen, das Bundesland mit den längsten Erfahrungen mit der vorschulischen Sprachförderung, vermeldet eine Beteiligungsquote von 94 Prozent. Der gleiche Befund trifft auf den Deutschunterricht für Erwachsene zu, die so genannten Integrationskurse, welche die Kommunen seit zwei Jahren bundesweit anbieten. Die Nachfrage übertrifft bei weitem das Angebot.
Fazit: Die Schuld für das Schulversagen von Migranten bei den Betroffenen selbst und ihrer Religion zu suchen mag die deutsche Politik entlasten. Die Bildungsprobleme lassen sich mit dieser Strategie kaum lösen.

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© www.heinersdorf-oeffne-dich.de, Initiative aus Berlin-Heinersdorf, Berlin 2007 | letzte Aktualisierung: 03.05.2010